Der Ball für Fusionen liegt nicht bei der Stadt Bülach

von Mark Eberli

Stadtpräsident Mark Eberli weiht im Oktober 2021 die neue Stadtverwaltung ein. Doch verwaltet wird von hier aus nicht nur für die Stadt, sondern auch für viele umliegende Gemeinden. Foto: Sybylle Meier

Interwiew im Zürcher Unterländer / ZU-Online am 9.1.2022 von  Florian Schaer

Bülach versteht sich als regionales Zentrum. Für Stadtpräsident Mark Eberli ist diese Rolle der Stadt eine Selbstverständlichkeit, genauso wie die damit verbundenen Dienstleistungen, die das Zentrum für die umliegenden Gemeinden erbringt. Von Polizei über Kesb bis Abwasser bestehen mit insgesamt 26 Kommunen verschiedene Verträge. Der Umfang: jährlich immerhin 8 Millionen Franken. Da stellen sich einige Fragen.

Mark Eberli, der Stadtrat formuliert das Ziel, Bülach als Zentrum und als autonome Gemeinde aufzustellen. Warum ist Mehraufwand überhaupt ein Ziel?

Bülach ist das Zentrum des Unterlands. Diese Funktion hat die Stadt schon lange inne. Deshalb ist das kein Ziel, sondern ein existierender Zustand. Der Stadtrat will sich partnerschaftlich für die Region und damit für andere Gemeinden einsetzen. Dabei strebt er professionelle, clevere und regionale Lösungen an, um damit Bülach und die Region zu stärken. Die Zusammenarbeit ist eine Win-win-Situation, da alle davon profitieren.

Der Kanton sagt, dass eine Gemeinde «Aufgaben, die für ihre Selbstständigkeit wesentlich sind, selber erfüllen» muss. Woran machen Sie die Autonomie einer Gemeinde fest? Ist das messbar?

Autonomie heisst für uns, stark und selbstbestimmt handeln und gestalten zu können. Keine Gemeinde ist zu 100 Prozent autonom, weil es viele Vorgaben von Bund und Kanton umzusetzen gilt. Gleichzeitig ist die Autonomie der Gemeinden in der Verfassung garantiert. Dabei handelt es sich eher um einen Autonomiebegriff mit symbolischer und politischer Bedeutung. Um Autonomie in einer Gemeinde leben zu können, braucht es Gestaltungskraft. Diese setzt voraus, dass man über genügend Leadership in Politik und Verwaltung, über Wissen und Ressourcen verfügt. Das ist aus meiner Sicht nur mit einer sinnvollen Grösse möglich.

Die Stadt übernimmt heute viele wichtige Aufgaben umliegender Dörfer. Nimmt sie ihnen damit nicht genau diese Autonomie weg?

Bülach löst mit den umliegenden Gemeinden zum Teil seit Jahrzehnten Aufgaben gemeinsam. Erstens fragen Gemeinden bei der Stadt an, ob man eine Zusammenarbeit prüfen könne. Aktuelles Beispiel ist die mögliche Zusammenarbeit mit Höri für Raumplanung, Hochbau, Tiefbau und Werkbetrieb. Zweitens müssen Gemeinden Vorgaben von Bund oder Kanton erfüllen. Die Kesb als nationales Thema oder das Zusammenlegen der Betreibungsämter auf kantonaler Stufe sind Beispiele. Damit nimmt Bülach nichts weg, sondern unterstützt andere Gemeinden. Wenn sie Aufgaben an Bülach übertragen, bleiben sie weiterhin selbstständig und verfügen über Mitsprache im Rahmen des Vertrags. Zudem: Eine gute Dienstleistung vor Ort oder zumindest in der Region ist für die Einwohnerinnen und Einwohner die nähere und damit bessere Lösung als eine zentrale Dienstleistung beim Kanton.

Beabsichtigt der Stadtrat grundsätzlich, die Zusammenarbeit weiter auszubauen?

Es ist kein Ziel, möglichst viele Dienstleistungen auszubauen. Wo aber aufgrund der Entwicklungen, der wachsenden Komplexität und der Abhängigkeiten Aufgaben professionell und effizienter im Verbund gemacht werden können, macht es Sinn, eine Zusammenarbeit zu prüfen.

Welche zusätzlichen Aufgaben könnte denn Bülach noch übernehmen?

Da ist der Stadtrat offen, Anfragen zu prüfen, und schränkt sich thematisch nicht ein. Wichtig ist, dass eine Zusammenarbeit auf beiden Seiten einen Nutzen stiftet, ökonomisch, aber auch politisch. Das kann die Finanzen, die Organisation, Arbeitsplätze, Image, Stärkung des funktionalen Raums oder auch das Gewicht gegenüber dem Kanton betreffen. Als Beispiele kommen mir die verstärkte Zusammenarbeit in der Informatik oder in der Entsorgung in den Sinn.

Sie vertreten als Stadtpräsident eine Behördeninitiative mit, die zehn Zürcher Regionen vorsieht. Auch da geht es darum, die Zusammenarbeit zu vereinfachen. Was wäre damit möglich, was heute nicht möglich ist?

Es geht darum, die Bezirke und Planungsregionen zu harmonisieren. Damit würden alle Gemeinden im gleichen Gebiet ihre regionale Raumplanung und andere Aufgaben, die heute bezirksweise gelöst werden, miteinander lösen.

Ist die Region Unterland dabei nicht zu gross und zu willkürlich gewählt? Wäre es nicht realitätsnäher, Bülach plus Kreisgemeinden als funktionalen Raum zu definieren?

Der Raum Bülach ist bereits als funktionaler Raum definiert. Aber es gibt Aufgaben wie beispielsweise die Raumplanung oder die Pflegeversorgung, die in einem grösseren Perimeter gelöst werden müssen. Dafür sind die funktionalen Räume zu klein.

Warum wählt man nicht eine Gebietsaufteilung, die auch geografische Faktoren und mittelfristige Gemeindefusionen berücksichtigt?

Aus meiner Sicht sind die gewählten funktionalen Räume grossmehrheitlich «stimmig». Aber es gibt Gemeinden, die sich zu zwei oder mehr funktionalen Räume zugehörig fühlen oder bereits heute ihre Aufgaben in unterschiedlichen funktionalen Räumen interkommunal bearbeiten.

In einer Präsentation vor dem Parlament hat der Stadtrat gesagt, «jede Grenze ist eine politische Grösse und damit verhandelbar». Wäre die Politik nicht ehrlicher und auch effizienter, wenn sie offen mit dem Blick auf Gemeindefusionen hin planen würde, anstatt noch Jahrzehnte von «Autonomie» und «Zusammenarbeiten» zu reden?

Veränderungen geschehen im austarierten Schweizer System meist in kleinen Schritten. Deshalb ist der eingeschlagene Weg der politisch umsetzbare Weg. Es geht um die Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit. Hier gibt es Potenzial, welches wir nutzen wollen. Sollten später Gemeindeexekutiven eine Gemeindefusion vorschlagen, entscheiden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger darüber, ob sie das wollen. Zudem steht es allen Personen frei, in ihrer Wohngemeinde einen entsprechenden Vorstoss zu lancieren. Der Ball für Fusionen liegt nicht bei der Stadt Bülach. Es bräuchte dazu die Initiative einer anderen Gemeinde. Das ist die ehrliche Bülacher Haltung.

Aber der Stadtrat nennt den Begriff der «kritischen Betriebsgrösse». Was meint er damit? Könnte Bülach zu gross werden?

Damit ist eine personelle, betriebliche und wirtschaftlich sinnvolle Grösse gemeint, die je nach Dienstleistung und deren Komplexität unterschiedlich gross ist. Sie muss deshalb im Einzelfall beurteilt werden. Bei der Frage nach dem «zu grossen Bülach» müsste man festhalten, wie man die Grösse misst. An der Anzahl Einwohnerinnen und Einwohner oder der Anzahl Gemeinden, mit denen man zusammenarbeitet? An der finanziellen Dimension oder der Anzahl Kunden? Der Stadtrat hat sich für sein Engagement in der Region ausgesprochen. Damit meint er das Unterland. Eine Region ist eine sinnvolle Bezugsgrösse. Das heisst aber nicht, dass alle Dienstleistungen für die ganze Region angeboten werden sollen. Es kann bei gewissen Dienstleistungen auch Sinn machen, nicht zu wachsen. Weil der Nutzen zu wenig erkennbar ist. Dann würde der Stadtrat das Wachstum nicht zulassen.

Gibt es eine Mindestanzahl Einwohner für eine Gemeinde, um der als Ziel definierten Autonomie wieder näher zu kommen? Wann ist man zu klein, um autonom zu sein?

Wie gesagt, Autonomie zeigt sich für uns daran, ob eine Gemeinde stark und selbstbestimmt handeln und gestalten kann. Das hat nicht nur, aber auch mit der Einwohnerzahl zu tun. Die Diskussion um die Mindestgrösse beinhaltet sowohl eine politische und damit strategische Perspektive als auch eine Verwaltungs- und damit operative Perspektive. Diese kann man unterschiedlich beurteilen. Deshalb wird die Frage auch unter Fachleuten kontrovers diskutiert. Die Meinungen liegen weit auseinander: Für die einen sind bereits 5000 Einwohnerinnen und Einwohner genügend, andere sehen diese Grösse eher bei 20'000.

 

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