Bülachs Stadtpräsident zu «Gemeinden 2030»

von Mark Eberli

«Es gibt sehr wenige Aufgaben, welche Bülach nur noch für sich alleine macht»
Für Gemeinden werden die Aufgaben komplexer. Mark Eberli sagt, warum Zusammenarbeit so wichtig ist – und warum die Gemeindegrösse kein Tabu ist.

Interview im Zürcher Unterländer vom 1. Dezember 2022 mit Florian Schaer, Foto Raisa Durandi

Zürcher Gemeinden sollen auch in Zukunft ihre Aufgaben selbstbestimmt bewältigen können. So will es die Verfassung des Kantons. Das heisst aber nicht, dass jedes Dorf im eigentlichen Sinne autonom agiert. Denn die Aufgaben werden mehr und gleichzeitig steigen die Ansprüche der Bevölkerung.

Vor fünf Jahren initiierte Regierungsrätin Jacqueline Fehr die Plattform «Gemeinden 2030», um den Austausch unter den Gemeinden zu fördern. Zu Problemen, gängigen Praktiken und zur interkommunalen Zusammenarbeit. Im Rahmen eines Forumanlasses hat Fehr nun angekündigt, diese Austausch-Plattform weitere vier Jahre laufen zu lassen. Als einer von vier Gemeindevertretern sitzt Bülachs Stadtpräsident Mark Eberli in der Steuergruppe von «Gemeinden 2030».

Mark Eberli, vier weitere Jahre «Gemeinden 2030» sind angekündigt. Was hat der Bülacher Einwohner davon? Was wird 2026 besser sein als heute?

Es geht hier um professionelle Dienstleistungen, die alle Einwohnerinnen und Einwohner von ihrer Wohngemeinde erwarten können. Viele Aufgaben sind einfach besser im Verbund zu lösen. Das gilt auch für Bülach. Aber noch wichtiger ist es zunehmend für kleinere Gemeinden.

Also sollte ich eher fragen: Was hat die Einwohnerin von Höri davon?

Ab 1. Januar 2023 bezieht die Gemeinde Höri zusätzliche Dienstleistungen von Bülach: im Hochbau, im Tiefbau und in der Raumplanung. Überall erwarten die Leute, dass eine Gemeinde ihre Dienstleistungen professionell anbietet, und dieser Anspruch nimmt zu. Um fachlich auf dem aktuellen Stand zu bleiben, müssen Mitarbeitende genügend Zeit haben, um sich einem Thema widmen zu können. Im Verbund können genügend Personal und Ressourcen für eine kompetente Dienstleistung an jedem Arbeitstag bereitgestellt werden.

Aber Zusammenarbeit gibts ja heute schon im grossen Stil.

Ja, in vielen Gebieten. Abwasserreinigungsanlagen, Kindesund Erwachsenenschutzbehörde, Raumplanung, Spitex, Zivilstandsamt, Polizei. Es gibt sehr wenige Aufgaben, welche Bülach nur noch für sich alleine macht. Die Schwierigkeit liegt aber darin, dass für fast jede Dienstleistung wieder andere Gemeinden zusammenarbeiten.

Und das ist ein Problem?

Der Koordinationsaufwand ist enorm. Auf der politischen Seite, aber auch bei der Verwaltung. Das bringt ein föderalistisches System mit sich.

Und jetzt geht es darum, effizienter zu werden und Steuergeld zu sparen?

Bei einer intensiveren Zusammenarbeit geht es um die Qualität der Dienstleistungen. Nehmen Sie beispielsweise die IT. Es braucht eine gewisse Grösse, um genügend Ressourcen für ein eigenes professionelles Team aufzubauen. Bei den Alterspflegeplätzen ist auf dem Papier jede Gemeinde alleine zuständig. Dabei ist es viel sinnvoller, den Pflegeplatzbedarf gemeinsam in einer grösseren Region in guten Betriebsgrössen abzudecken. Beim Bausekretariat von Höri musste bisher eine Person gleichzeitig Raumplaner, Baupolizist, Bausekretär oder Energiefachmann in einem sein. Jetzt ist da ein Team mit mehreren Fachleuten. Man kann sich fachlich austauschen, und die Stellvertretung ist geregelt.

Will heissen: Die Höremerin bekommt mehr Service und bessere Öffnungszeiten, muss aber an einen anderen Ort fahren.

Ja. Die Erreichbarkeit von Bülach ist ja gut. Zudem gibt es zunehmend digitale Services. Wie oft gehen Sie pro Jahr auf die Verwaltung Ihrer Wohngemeinde? Wohl wenige Male, vermute ich. Aber die Professionalität, die Sie als Kunde haben wollen, erreicht man immer öfter nur noch über eine Spezialisierung. Wir können nicht erwarten, dass Mitarbeitende über mehrere Fachgebiete stets à-jour sind. Denn die Komplexität der Aufgaben nehmen laufend zu.

Ist das wirklich so? Was macht denn die Komplexität aus?

Die Koordination der Themen, welche zunehmend zusammenhängen, hat zugenommen. Es leben immer mehr Menschen hier, das heisst auch immer mehr Anspruchsgruppen auf denselben kleinen Raum: Verkehr, Umwelt, Siedlungsentwicklung, Energie, Wirtschaft – jede Nutzung muss koordiniert werden. Je dichter es hier wird, desto regulierter wird es auch.

Jacqueline Fehr kündigt vier weitere Jahre «Gemeinden 2030» an. Allerdings hat sie für die ersten fünf Jahre nicht viel Messbares vorzuweisen: eine Milizsystem-Kampagne und die Behördeninitiative zu den Bezirken. Ist das nicht etwas mager?

Bei «Gemeinden 2030»geht es um den Austausch. Dieser hat in den vergangenen Jahren intensiv stattgefunden und ist von enormem Wert. Die konkreten Resultate, da gebe ich Ihnen recht, erscheinen noch nicht als der grosse Wurf. Doch Reformen vollziehen sich in der Schweiz immer in kleinen Schritten. Von zwölf auf zehn Bezirke zu reduzieren, das ist tatsächlich keine Wahnsinnsreform. Doch nach 200 Jahren fast fixen Bezirksgrenzen darüber diskutieren zu können, ist eine Chance. Was mich in den kommenden vier Jahren interessiert, ist «best practice»: Wo wird mit welchem Erfolg sinnvoll zusammengearbeitet? Auch Fragen wie welche Aufgabe auf welcher Ebene am besten gelöst wird oder was eine ideale Gemeinde- oder Verwaltungsgrösse ist – das sind spannende Themen.

Ah, die alte Frage, wie gross eine Gemeinde sein soll.

Die Frage bei «Gemeinden 2030» lautet: Wie müssen die Zürcher Gemeinden aufgestellt sein, dass sie auch im Jahr 2030 ihre Aufgaben eigenständig und eigenverantwortlich erfüllen können? Das tangiert die Frage der Autonomie und damit auch der Grösse. Diesem Thema muss man sich widmen. Doch es ist insofern ein schwieriges, weil die Meinungen zur Gemeinde-Idealgrösse auf einer Skala von 2000 bis 20’000 Einwohner weit auseinandergehen. Es geht aus meiner Sicht vielmehr um das Mindset der einzelnen Kommune: Will sie die Aufgaben gemeinsam mit anderen Gemeinden oder alleine lösen?

Als neue Arbeitsgruppe ist das Thema Klimadialog vorgesehen. Kann ich es mir bei dringlichen Themen überhaupt leisten, einfach weiter miteinander zu plaudern?

Beim Klimadialog geht es um die Umsetzung. Natürlich gelten die Vorgaben von Bund oder Kanton, bei denen es kommunal gar nichts zu diskutieren, sondern umzusetzen gibt. Aber es gibt auch die vielen Bereiche, wo es interessant ist, zu wissen, was andere Gemeinden tun, welche Schwerpunkte sie setzen: Die einen setzen auf E-Mobilität und bauen Ladestationen, andere priorisieren Solarenergie.

Ist das nicht unglaublich ineffizient, dass jedes Dorf für sich ein und dieselbe Debatte von vorne führt?

Das ist ein Grund, warum ich beim Thema Energie eine gemeindeübergreifende Zusammenarbeit befürworte. Denn alle Kommunen müssen die gleichen Themen lösen.

Und wie lange kann sie sich den Föderalismus noch leisten?

Die einfache Antwort wäre: bis noch mehr Druck entsteht. Doch die Frage ist gut und sicher nicht ohne weiteres zu beantworten. Die Zusammenarbeitsthemen werden diskutiert, es entstehen neue Zusammenarbeiten zwischen den Gemeinden. Schritt für Schritt. Es muss immer darum gehen, für die Zukunft starke, eigenverantwortliche Gemeinden zu haben. Zusammenarbeiten zum Beispiel in einem funktionalen Raum macht Sinn. Dieser hat aus meiner Sicht den politischen – also die Gemeindegrenzen – längst überholt und wird auch in den nächsten vier Jahren an Bedeutung gewinnen.

«Reformen vollziehen sich in der Schweiz immer in kleinen Schritten.»
Mark Eberli Stadtpräsident Bülach

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